Gibt es eine Immobilienblase? Einschätzung, Tendenz, Ausblick

3 / Apr / 2018

Eine klassische Preisblase haben wir nicht, wohl aber ein Rückschlagpotential bei sich normalisierenden Rahmenbedingungen. Zur Einschätzung des Preisrisikos müssen daher Wohnungsneubau, Binnenwanderung und Zinsentwicklung sehr genau beobachtet werden.

Immer heftiger wird hierzulande diskutiert, ob es am Wohnungsmarkt eine Preisblase gibt oder zumindest eine droht. Um es gleich vorweg zu nehmen: kein Mensch kann eine Preis-blase mit Sicherheit attestieren oder gar den Zeitpunkt einer platzenden Blase vorhersagen! Eine Preisblase erkennt man daher am besten daran, dass sie platzt, die Preise also drastisch einbrechen. Klar ist aber auch: nicht jeder Preisanstieg birgt die Gefahr einer Blase und nicht jede Blase muss schlagartig platzen. Die heiße Luft kann auch langsam abkühlen und der Druck schleichend entweichen – etwa durch Inflation.

Grundsätzlich brechen Preise ein, wenn die Nachfrage deutlich hinter dem Angebot zurück bleibt. Dazu muss entweder vorher das Angebot (stark) zunehmen oder die Nachfrage (plötzlich) einbrechen. Eine übermäßige Angebotsausweitung am Wohnungsmarkt erkennt man an Fertigstellungen, die über den mittelfristigen Bedarf hinausgehen, ein Nachfrage-einbruch daran, dass zum herrschenden Preis kaum noch einer kaufen will oder kann. Eine Blase droht demnach, wenn sich die Immobilie für den Durchschnittsvermieter nicht mehr rechnet, weil die Kaufpreise schneller steigen als die Mieten, oder für den Nor-malverdiener unerschwinglich wird, weil die Kaufpreise schnellersteigen als die Ein-kommen, und dennoch in spekulativer Erwartung immer mehr Wohnungen gebaut werden.

Das Schädliche an Preisblasen sind aber weniger die hohen Preise selbst, sondern vielmehr die dadurch überzeichnete Knappheit. In der Folge kommt es zu Fehlalloka-tionen: der Wohnungsbau und die dazu erforderliche Kreditvergabe werden über Gebühr angekurbelt, Kapital für alternative Anlageinvestitionen wird knapp. Richtig gefährlich für die investierten Eigentümer wird eine Blase aber erst, wenn sie platzt. Denn dann wird Vermögen vernichtet, weil die Buchwerte der Immobilien an Wert verlieren. Es entstehen Leerstände und im schlimmsten Fall kommt es zu einer Ban-kenkrise, weil die Kreditausfälle überhand nehmen. Gefährlich für die Volkswirtschaft als Ganze wird es also immer dann, wenn steigende Preise und spekulativer Neubau auch noch zunehmend kreditfinanziert werden.

Derzeit keine klassische Preisblase

Die vier relevanten Indikatoren (Vervielfältiger, Preis-Einkommens-Verhältnis, Fer-tigstellungen je Einwohner und Wohnungsbaukredite relativ zum BIP) lassen sich beobachten. So kosten z.B. neuere Eigentumswohnungen im bundesdeutschen Durch-schnitt derzeit 5,3 Jahreseinkommen oder 26,8 Jahresmieten. Pro Tsd. Einwohner wurden rund 3,0 Wohnungen errichtet und der Anteil neuer Wohnungsbaukredite am BIP liegt bei 6,7 Prozent (ausstehende Kredite insg. 40%). Stellt man diese Werte z.B. den Vergleichswerten des Jahres 2004 gegenüber – ein Jahr, in dem niemand eine Preisblase vermutet hat und der Markt eher leicht unterbewertet war –, dann sind ETWs heutzutage nicht dramatisch teurer (+0,5 Jahreseinkommen bzw. +0,9 Jahres-mieten), die Fertigstellungen geringer (-0,6 pro Tsd. Einwohner) und der Anteil Woh-nungsbaukredite am BIP sogar erheblich niedriger (-7 Prozentpunkte gemessen am BIP). Eine bundesweite Preisblase lässt sich damit nicht attestieren.

Das wird noch deutlicher, wenn man Vergleichsländer mit vergangenen Preisblasen heranzieht. Nehmen wir z.B. Spanien oder Irland. Dort ist um 2006/07 eine Blase ge-platzt: die Hauspreise sind relativ zum BIP bis 2012 – also über sechs bis sieben Jahre hinweg – laut OECD jeweils um 4,6% p.a. in Spanien und sogar um 10,0% p.a. in Irland gesunken. Wie bei jeder geplatzten Blase waren die Hinweise auf drohende Blasenbil-dung nicht zu übersehen: in Spanien wurden im Maximum 15,4 Wohnungen pro Tsd. Einwohner fertiggestellt und sind die ausstehenden Kredite für den Wohnungsbau auf 63% des BIP gestiegen, in Irland lag die Fertigstellungsquote sogar bei 20,9 Wohnun-gen und die Schuldenquote bei 72%.

Die regionale Marktbreite ist entscheidend

Auch wenn bundesweit Entwarnung gegeben werden kann, gibt es aber sehr wohl regionale Märkte, auf denen auch hierzulande eine Preisblase droht. Regionale Preis-blasen sind zunächst einmal volkswirtschaftlich unproblematisch. Sie können jedoch gefährlich werden, wenn viele regionale Märkte betroffen sind. Deswegen ermittelt empirica regelmäßig die regionalen Werte für „Mietvervielfältiger“, „Preis-Einkommens-Verhältnis“ und „Fertigstellungen je Tsd. Einwohner“ und fasst das Er-gebnis in einem „Blasenindex“ zusammen.

Abbildung 01

Demnach wachsen im zweiten Quartal 2017 Mieten und Kaufpreise in 240 von 402 Landkreisen und kreisfreien Städten nicht mehr im Gleichklang (vor drei Jahren: 143) und sind In 162 Kreisen die Kaufpreise den Einkommen enteilt (vor drei Jahren: 44). Gleichwohl werden allenfalls in 8 Kreisen zu viele Wohnungen gebaut (vor drei Jah-ren: 11). Im Ergebnis indiziert der empirica-Blasenindex für 168 Kreise eine mäßige bis hohe Blasengefahr (vor drei Jahren 59), wobei die Gefahr in 8 der 12 größten Städ-te mittlerweile eher hoch ist.

Gefährliche Mischung: reale Nachfragesteigerung plus Betonflucht

Vor allem Bauträger oder Makler argumentieren dagegen immer, dass die Preise überhaupt nicht einbrechen könnten, solange zu wenig gebaut würde und die Nachfra-ge entsprechend nicht befriedigt sei. Dieses Argument zerbröselt allerdings, wenn man sich die Preisentwicklung differenzierter zu Gemüte führt.

So steigen die Immobilienpreise seit nunmehr sieben Jahren. Ab etwa dem Jahr 2009 zunächst nur die Miet- und Kaufpreise zentral gelegener Wohnungen in den attrakti-ven Schwarmstädten, weil junge Menschen ihre ländliche Heimat in Nordhessen, Sachsen-Anhalt oder dem Bayerischen Wald verließen (Phase 1). Deren Landflucht füllte zunächst nur die leer stehenden Wohnungen (Phase 1a), wirkte dann aber un-versehens preistreibend (Phase 1b). Dieser urbane Preisschub wiederum vertrieb zunehmend junge Familien an den Stadtrand und ins Umland. In der Folge stiegen ab etwa 2011 dort die Preise auch für Eigenheime (Phase 2). Bis hierhin reflektieren die steigenden Miet- und Kaufpreise die real zunehmende Knappheit durch Zuzug vom Land in die Schwarmstädte.

Abbildung 02

Quelle: empirica-Preisdatenbank (Angebotspreise aus Inseraten)

Aber damit nicht genug: seit 2012 befinden sich nun auch die Zinsen auf Wanderschaft und beschreiten dabei zunehmend eine Talfahrt. Jetzt flüchten nicht nur Landbewoh-ner in die Stadt und Stadtbewohner ins Umland, jetzt flüchten auch Kapitalanleger von Geldanlagen in Betongold. Das finden sie vornehmlich in Form von Eigentumswoh-nungen in den Stadtkernen. Dort erhalten die Kaufpreise und in der Folge auch die Um-landabwanderung einen zusätzlichen Schub. Spätestens seit 2014 steigen daher die Kaufpreise für ETW wie auch für Eigenheime nun schneller als die Mieten (Phase 3). Weil die Betonflucht auf die Kaufpreise wirkt, aber weniger auf die Mieten, öffnete sich vor allem bei den Preisen für ETW eine Schere!

Keine Blasengefahr, aber erhebliches Rückschlagpotential

Eine klassische Preisblase kann also nicht attestiert werden: Es gibt kein Überange-bot, denn im Bestand will kaum einer verkaufen und Neubau ist wegen Baulandmangel kaum möglich. Und das Kreditvolumen ist gemessen am BIP nicht aufgebläht. Die Ren-diten sind niedrig, aber durch die Minizinsen dennoch attraktiv: Alternative Anlagen versprechen noch weniger Ertrag. Die hohen Preise sind also gerechtfertigt, der Markt im Gleichgewicht. Aber das Gleichgewicht ist labil!

Im Juli ist es warm, eine Heizung nicht erforderlich. Dennoch werden auch im Sommer bezugsreife Wohnungen mit Heizkörpern ausgestattet. Denn jeder weiß, im Winter wird es wieder kalt. Dasselbe gilt für die Zinsen: Jeder weiß, dass sie wieder steigen. Unsicher ist nur wann, wie schnell und wie weit.

Der Kaufpreis ist nichts anderes als die abgezinste Summe der künftig erzielbaren Mie-ten. Bei Zinsen nahe null steigt dieser Barwert ins Unermessliche und rechtfertigt hohe Preise. Und genau hier, im Rückschlagpotential, liegt das Risiko: Bei einer Zins-wende werden die Kaufpreise sinken, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und das passiert auch dann, wenn bis dahin immer noch zu wenig neu gebaut wird. Das mögliche Ausmaß wird durch die Schere zwischen Miet- und Kaufpreisen be-schrieben, die sich seit etwa 2014 öffnet. Es liegt bundesweit bei knapp 12%, in den Top7-Städten eher bei 30%. Immobilien wären aber selbst dann nicht „billig“, denn 2014 wurden ja auch schon die hohen Preiszuwächse beklagt. Gleichwohl würde so mancher Käufer erheblich Eigenkapital einbüßen. Steigt mit den Zinsen auch die Infla-tion, würde der reale Preisrückgang allenfalls vertuscht, aber nicht verhindert.

Abbildung 01 Abbildung 02

Schwarmstadt: Kohortenwachstumsrate > 150, d.h. aus ursprünglich 100 Einwohnern einer Generation werden durch Zuwanderung mindestens 150; „echte“ („unechte“) Schwarmstädte: rot (bräunlich) markierte Städte, die durch Zuwanderung aus >70% (max. 70%) aller Kreise profitieren.
Rückschlagpotential: Relative Preiskluft zwischen ETW und Mieten (alle Baujahre)
Quelle: empirica-Regionaldatenbank

Auslöser und Verstärker des Rückschlagpotentials

Das Ausmaß des Rückschlagpotentials kann durch überlagernde Effekte beeinflusst werden. So wurde – wie geschildert – bereits in der jüngeren Vergangenheit der nied-rigzinsbedingte Preisanstieg überlagert durch eine Zusatznachfrage infolge der Land-flucht in die Städte. Dieser Nachfrageschock hat die Mieten gepuscht und dadurch zu-sätzlich die Kaufpreise getrieben.

Genauso lauern auch künftig überlagernde Effekte. Sofern die Landflucht weitergeht und Flüchtlinge nicht zurückkehren, mildert dies den drohenden Sinkflug der Kauf-preise. Das ist am ehesten in „echten“ Schwarmstädten der Fall, die überregional aus einer Vielzahl an Regionen und nicht nur aus einigen wenigen Umlandkreisen Zuwan-derer gewinnen. Allerdings meiden viele junge und mobile Menschen mittlerweile die besonders gehypten Städte wie Berlin oder Hamburg und ziehen lieber in die zweite Reihe nach Kiel, Rostock oder Schwerin. Ein abflauender Nachfragedruck könnte den Rückschlag wahrscheinlicher machen.

Genauso kann eine aufkommende Neubauwelle den Sinkflug zusätzlich befördern. Die aktuell hohen Preise konzentrieren sich auf eine Handvoll Bestands- und Neubauob-jekte. Wenn die Konzentration der Kommunen auf die Innenentwicklung endlich ein Ende findet und mehr Flächen wieder im Außenbereich zur Verfügung stehen, könn-ten neue Wohnungen wie Pilze aus dem Boden schießen. Schon jetzt haben Städte wie Frankfurt, Hamburg und vor allem Berlin einen ordentlichen Bauüberhang vorzuwei-sen. Sobald aus den Genehmigungen Fertigstellungen werden, kann sich das Angebot schnell vervielfachen. Die Preise, bislang durch die extreme Knappheit gepusht, wür-den umso schneller nachgeben. Das gilt vor allem für die falschen Objekte, die am fal-schen Ort gebaut wurden.

Wohnungen sind nämlich nicht gleich Wohnungen. Die Nachfrage nach Wohnungen in einfamilienhausähnlichen, eher höherwertigen Gebäuden wird nach empirica-Prognosen noch lange steigen. Die Kehrseite: Geschosswohnungen, insbesondere schlechtere Lagen und Qualitäten, die viel beschworenen Mikroapartments oder ano-nyme Großsiedlungen werden überproportionale Nachfrageeinbußen erfahren. Bei der künftigen Wohnungsnachfrage sind aber nicht nur Regionen und Gebäudestile zu unterscheiden. Für eine erfolgreiche Vermietung ist es auch wichtig, die Bedürfnisse der wichtigsten Nachfragegruppen zu kennen. Da wären zum einen die mengenmäßig bedeutende Gruppe der Senioren, die heute mobiler sind als in vergangenen Jahrzehn-ten. Eine zahlenmäßig kleinere Gruppe sind die Familien oder die Studenten. Diese Nachfrager haben aber sehr spezielle Wohnwünsche. Außerdem entscheiden vor al-lem Familien mit ihrer Wohnstandortwahl darüber, wohin die Umlandwanderung führt: in die Suburbanisierung oder „zurück“ in die Stadt.

Fazit: Flexibel sein und nicht auf Kante nähen

Die Welt ist nicht schwarz-weiß. Im Gegenteil sind Immobilien wie Anleger ausge-sprochen heterogen. Dabei unterscheiden sich Kapitalanleger und Selbstnutzer in zweifacher Hinsicht: Die Mehrheit der Selbstnutzer hält die Immobilie über Jahrzehn-te, kauft aber immer nur „zuhause“. Kapitalanleger dagegen sind – zumal auf „heißen“ Märkten – eher auf schnellere Wertsteigerungen oder zumindest kürzere Haltefristen aus. Auf der anderen Seit sind sie flexibler in der Standortwahl. Klar ist auf jeden Fall: Wer Immobilien länger hält, kann Schwankungen leichter aussitzen. Wer dagegen sei-ne Anlagemöglichkeiten auf eine Region fixiert, erhöht das demographische Preisrisi-ko.
Es gibt also keine allgemeingültige, sondern nur eine tautologische Antwort: Eine lang-fristige Wertsteigerung ist immer dann (noch) zu erwarten, wenn das richtige Objekt am richtigen Ort gekauft und die Haltedauer lang oder zumindest flexibel ist. Für junge Familien, die über den Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum nachdenken, zählt ohnehin nicht die Rendite allein. Wer ein familienfreundliches Zuhause schätzt und die Finanzierung nicht „auf Kante“ näht, der soll kaufen, bevor die Kinder zu alt sind. Die sind schließlich nur einmal klein. Und eines sollte man nicht vergessen: wenn die Prei-se sinken, werden auch die Zinsen steigen. Für eigenkapitalschwache Familien gilt daher: Pest oder Cholera – wirklich billiger wird es nicht!

Dr. Reiner Braun ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender der empirica AG Forschung und Beratung (Berlin). Im Jahr 2003 wurde er in den Vorstand der empirica AG berufen, seit 2015 hat er dort den stellvertretenden Vorsitz inne. Die Arbeitsschwerpunkte seiner Tätigkeit liegen im Bereich Wohnungsmärkte, Einkommens- und Vermögensanalysen sowie Altersvorsorge. Seit über 10 Jahren ist der Volkswirt Mitglied im Verbandsrat des deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e.V. und seit 2010 Mitglied im Arbeitskreis Bau- und Wohnungsprognostik.