Gute Marken kommen in den Himmel, böse in den Einkaufwagen

22 / Okt / 2018

Ein guter Unternehmer zu sein, ist verdammt schwer geworden: permanent müssen wir politisch korrekt agieren. Alle Produkte sollen fair, gerecht, transparent, biologisch, ökologisch, Laktose frei und nachhaltig gefertigt werden – aber gefälligst der Geiz-ist-Geil-Mentalität folgend zum Sonderpreis.

Gute Unternehmen versuchen es permanent allen recht zu machen: Ängstlich – jeden Fehler und jede Kritik vermeidend, passen wir uns, denken & agieren nur mehr Kunden-zentriert. Aber wer versucht allen zu gefallen, wird austauschbar, belanglos, fremdgesteuert und auf lange Sicht unsichtbar.
Böse Unternehmen ecken an, haben Kanten und lassen sich nicht verbiegen. Lieber somebody’s lover, statt everybody’s darling.

Böse Unternehmen besitzen Gelassenheit:

Kunden und Nicht-Kundinnen stecken ohnehin permanent im Zustand erhöhter Aufregung und davon lassen sich gute Marken viel zu schnell mitreißen. Da braucht es nur zwei gehässige Kommentare auf unseren letzten Facebook-Post und schon wähnen wir uns im Kloakenstrudel, mitten im feucht fröhlichen Shitstorm: Jetzt müssen wir sofort reagieren und unseren Botschaften noch harmloser machen, damit sich nur ja nie jemand beschwert. Aber das ist der völlig falsche Weg: Die Marketing-Steuerung durch unqualifizierte Kunden-Zurufe von außen führt zu immer belangloseren Gähn-Kampagnen.

Es gibt nicht nur das Phänomen eines Landes voller Teamchefs, sondern es existieren ebenso viele Marketing-Experten, die ungefragt ihre persönliche Ablehnung gegenüber einer Kampagne oder einem Produkt ungehemmt freien Lauf lassen. Agenturen- und Marken-Bashings – also Social Media Faustschläge gegen Postings – sind extrem in Mode von selbsternannten Grals-Hütern der reinen Marken-Lehre. Wohlgemerkt: Von denen, hat noch nie jemand bei uns eingekauft und wird es auch nicht. Das sind keine Kunden, sondern narzisstische Krach- und Wichtigmacher.

Gute Unternehmen werden von Kunden, ganz oft auch von Nicht-Kunden vor sich hergetrieben. Böse Marken agieren gelassen und wissen, dass der Kunden nicht immer recht hat und sagen es ihm auch. (frei nach Michael O’Leary CEO von der erfolgreichen wie bösen Ryanair.)

Der Kunde ist heute nicht mehr König, sondern er führt sich auf wie eine verwöhnte Prinzessin: Wir erleben das Phänomen der unerzogenen Kunden.

Der Kunden will alles sofort, überall und wenn er es nicht bekommt dann schreit er – LAUT. Gute Marken lassen alles durchgehen – wie die guten Eltern, um nur ja geliebt zu werden – nur nicht streng, nur nicht nein! Die Folge: sie tanzen uns auf der Nase herum und wir versuchen jeden Wunsch sofort zu erfüllen.
Was gute Unternehmen davon haben? Mörderischen Stress, unzufriedene Mitarbeiter und verschwendete Ressourcen mit den falschen Kundinnen. Böse Unternehmen stellen heute Peitsche schwingende Pädagogen ein, statt Knie schotternder Touch Point Manager.

Nur zur Klarstellung: Eine böse Marke betrügt nicht, beschimpft nicht, beutet nicht aus – aber sie wehrt sich, passt sich nicht an und lässt sich nichts gefallen. Sie schaffen außergewöhnliche Erlebnisse und zaubern WOW Effekte, aber eben nicht für jeden; und sie zeigen schlechten Kunden schnell, wo die Türe ist. Und tschüs!
Ein böses Unternehmen bricht bewusst Regeln, überschreitet Konventionen und hält sich nicht an die Gewerbeordnung.

Oft stehen die beliebtesten Marken auch auf der Rangliste der meist gehassten Unternehmen ganz oben: Apple verweigert den Social Media Dialog, gilt als arrogant und löst Akku-Probleme einfach durch das Entfernen der Anzeige – trotzdem campieren die Jünger vor dem Store um das neueste Gadget zu ergattern.

Der „kleine Saftladen“ (laut Eigendefinition) True Fruits Smoothies reagiert harsch auf Kritik an ihrer Werbelinie, die ganz bewusst mit eindeutig, zweideutigen Sujets polarisiert. Das hat ihnen viel Hass aber auch gewaltige Anerkennung, Bekanntheit & Absatz gebracht.
Kein Best-of-Böse ohne den blauen Riesen: Facebook avancierte längst zum Staatsfeind Nr 1: Ohne Kundenservice (oder wie lautet die Service-Hotline?) zeigen uns einfach, was uns gefällt (das nennen wir dann Filter-Blase) und löscht Nippel aber keine Lügen. Die Folge? Das Geschäft brummt.

Die US-Burgerkette Wendys hat jüngst auf Angriffe gegen ihr Essen sehr pointiert & heftig zurück geschimpft – und dafür viel Applaus geerntet.

Denn in Wahrheit lieben wir sie alle, die Bösewichte.

Robert Seeger, Inhaber & Geschäftsführer, Seeger Marketing GmbH – Agentur für Kommunikationskunst. Der studierte Kunsthistoriker ist seit 1994 im Web unterwegs und gilt als anerkannter Experte für spätgotische Madonnen und postmodernes Marketing. Seit fast 20 Jahren berät, provoziert und missioniert er Unternehmen, Ministerien und NPOs in allen Fragen rund um innovatives Marketing.