Interview mit Dr. Anne Fleck, Expertin für innovative Präventiv- und Ernährungsmedizin
Ernährung ist in aller Munde. Viele Informationen aber sind widersprüchlich oder falsch. Die Ernährungsmedizinerin Dr. Anne Fleck über Mythen, Trends und Essen, das heilt.
Frau Dr. Fleck, Sie befassen sich als Ernährungsmedizinerin damit, wie Essen heilen oder Krankheiten lindern kann. Ursprünglich kommen Sie aus Saarlouis, sind als Saarländerin also vermutlich auch dem Essen zugetan. Was ist für Sie gutes Essen?
Dem Essen bin ich sogar sehr zugetan. Ich halte die saarländische Flagge hier oben im Norden immer hoch. Auch in meinem Haushalt und in meiner Familie nimmt Essen – selbst für saarländische Verhältnisse – einen hohen Stellenwert ein. Nicht nur „Hauptsach gudd gess“, sondern auch frisch, regional, saisonal, liebevoll, schnell zubereitetes Essen aus einfachen, ehrlichen Zutaten mit Zeit für Genuss und gutem Kauen. Und: Essen soll Freude machen.
Ernährung ist ja ein riesiges Thema zurzeit. Brauchen wir wirklich so viele und zum Teil auch widersprüchliche Tipps aus allen Richtungen? Reicht es nicht zu essen, was der Körper einem sagt?
Das ist in der Tat so, dass wir im Moment auch mit Fehl- und Falschinformationen völlig überflutet werden. Wahrscheinlich ist der Mensch von Natur aus anfällig für Hypes. Und die Menschen sind oft enorm verunsichert. Meine Aufgabe als Ärztin und. Wissenschaftlerin ist, für mehr solides Wissen und Bodenständigkeit in der Diskussion zu sorgen. Ernährung ist etwas sehr Individuelles – insofern muss Ernährung zu jedem persönlich passen. Wer aber immer seinem Hunger stets in der Kombination „süss und fettig“ nachgibt, liegt damit natürlich falsch.
Wie kann der Konsument bei der Informationsflut den überblick behalten?
Das ist nicht so einfach – selbst für Ernährungswissenschaftler. Nicht jede Studie ist wirklich valide, um daraus nutzenstiftende Empfehlungen abzuleiten! Mein Anspruch ist, dass ich mich dem neuesten Stand der Forschung verpflichtet fühle. Ich lese viel Original- und internationale Literatur und habe durch meine langjährige Arbeit einen großen Erfahrungsschatz. Meine Definition einer „Medizin der Zukunft“ vereint Komponenten aus Individualmedizin, Stressmedizin, Integrativer Medizin, Innerer Medizin, Ernährungsmedizin und Präventivmedizin – und die Achtsamkeit.
Sie sind natürlich Fachfrau, aber was hilft dem Laien?
Es gibt zum Thema Ernährung viele ernannte und selbsternannte Experten. Es herrscht ein Wildwuchs an Empfehlungen. Quasi jeder kann sich Ernährungsberater nennen, daher ist auch die Qualität vieler Beratungen zurecht zweifelhaft. Motiviert durch Kollegen und vor allem meine Patienten und die Behandlungserfolge, versuche ich auch durch meine Bücher, Interviews und Vorträge aufzuklären und so dieses Wissen einfach, praktisch umsetzbar für jedermann zu transportieren.
Bei welchen Krankheiten hilft Ernährungsmedizin besonders gut?
Besser essen hilft natürlich nicht beim gebrochenen Arm, beim Hundebiss oder als alleiniges Heilmittel bei schweren entzündlich-rheumatischen Krankheiten, die zusätzlich absolut einer zügigen, modernen Medikation bedürfen. Vor allem ernährungsbedingte Krankheiten lassen sich positiv verändern: zum Beispiel das Metabolische Syndrom, Insulinresistenz, Diabetes mellitus, übergewicht, koronare Herzerkrankungen, Magen-Darm-Erkrankungen wie Refluxleiden, chronische Gastritis, Reizdarm und vor allem auch entzündliche Erkrankungen wie zum Beispiel Rheuma oder Multiple Sklerose und Immunschwäche. Aber auch Hauterkrankungen wie Schuppenflechte, Akne, Neurodermitis und sogar Rosazea lassen sich hervorragend beeinflussen. Wir wissen, dass die sogenannte „stumme Entzündung“ verantwortlich ist, zum Beispiel für Insulinresistenz, übergewicht, Arterienverkalkung, koronare Herzerkrankung oder sogar Krebs. Dieser stummen Entzündung kann man vorbeugen oder sie abwenden durch eine „anti-entzündliche“ Ernährung: gemüsebetont, mediterran, mit Zwiebeln und Knoblauch, hochwertigem Eiweiß aus verschiedenen Quellen (fetter Fisch, Eier, Pilze, Fleisch in Maßen) und vor allen Dingen hochwertige Fette.
Was sind hochwertige Fette?
Alle Fette sind rehabilitiert, die gesättigten, die einfach- und mehrfach ungesättigten Fette. Zur Entzündungshemmung braucht der Körper vor allem Omega-3-reiche Öle. Die sind zum Beispiel in fettem Fisch: Lachs, Makrele, Thunfisch und Hering. Oder auch in hochwertig hergestellten Omega-3-reichen Pflanzenölen, also zum Beispiel Leinöl und Weizenkeimöl, die sich in Kombination optimal ergänzen. Man erkennt solche hochwertigen Öle daran, dass sie nicht nur Bio und kaltgepresst hergestellt werden, sondern auf der Packung Omega-geschützt, zum Beispiel Omega-safe steht, das heißt sie werden also unter Ausschluss von Licht, Hitze und Sauerstoff hergestellt. Denn Omega-3-reiche Fette sind sehr mimosenhaft und empfindlich. Oxidierte Fette wiederum können Entzündungen fördern. Mit solchen sorgsam hergestellten Ölen kann man tatsächlich einen Quantensprung erreichen. Bestimmte Öle wie Oliven- und Rapsöl sollte man übrigens nie zu heiß erhitzen. Zum scharfen Anbraten empfehle ich nur Butterschmalz, Kokosfett und Ghee oder auch Erdnussöl oder Sesamöl. Ein gesundes, wohlschmeckendes Olivenöl
extra vergine, kann man zum Beispiel nach dem Braten oder Zubereiten im Backofen über Gemüse oder Fisch geben.
Sie sagen auch generell: Esst mehr Fett. Warum?
Weil moderne Wissenschaft das Fett freispricht und Fett ein Geschmacksträger und Energielieferant ist. Wir brauchen Fette zur Aufnahme der E-, D-, K- und A-Vitamine und wir wissen, dass das Fettarm-Dogma auf einer falschen Hypothese aufgebaut wurde, die
wissenschaftlich nicht bewiesen war. Fett ist auch integraler Bestandteil unserer Zellmembran. Wer die Zelle als kleinste Einheit des Körpers stärken will, braucht demzufolge hochwertiges Fett und Eiweiß.
Wo Sie gerade von hochwertig sprechen: Was sind denn gute und schlechte Fette?
Alle Fette, die einfach ungesättigt, ungesättigt oder gesättigt sind, sind freigesprochen. Sogar die Transfette aus der Kuh, wie sie in der Butter sind. Sie erhöhen zwar das Cholesterin, allerdings den guten und herzschützenden Anteil und dadurch auch das Gesamtcholesterin. Ungesund sind Transfette aus industrieller Herstellung, wie Billig-Margarinen oder industrielle Backwaren sie enthalten. Oder eben, wenn man in der Bratpfanne durch unbedachtes Braten mit fälschlicherweise zu hoch erhitzten Ölen selber Transfette produziert – das ist ein häufiger, unbewusster Fehler, der viel Krankheit erzeugt.
Wenn Sie ein kranker Mensch fragt, warum ein ernährungsmedizinisches Konzept und nicht zum Beispiel vegan essen oder Paleo oder low carb: Was sagen Sie ihm?
Ernährungsmedizin ist etwas anderes als ein Foodtrend. Bei allen Ernährungsweisen sollte man schauen, was zu einem passt – und vor allem, was aus wissenschaftlich valider Sicht, wirklich empfehlenswert ist. Einigkeit besteht bei den verschiedenen Ernährungskonzepten, dass ein hoher Gemüseanteil sinnvoll ist. Bei der veganen Ernährung hat man die Gefahr einer Mangelernährung, weil zum Beispiel Vitamin B12 und die DHA-Fettsäure, die nur aus tierischen Quellen bezogen werden können, fehlt. Da muss man wirklich gut und ausgeklügelt durch Nahrungsergänzung substituieren. Bei Paleo, als eine Form der Low-Carb-Ernährung mit positiv gesehenem Verzicht auf Fertigprodukte, ist der hohe Eiweißanteil aus Fisch und Fleisch auch gegebenenfalls eine Kostenfrage und der komplette Verzicht auf Hülsenfrüchte und Milchprodukte umstritten. Weniger Kohlenhydrate, also Low Carb, passt auch nicht für jedermann und ist sogar inzwischen überholt, denn – der modernste Stand der Wissenschaft sagt: Kohlenhydrate sollte man flexibel nach Bewegung dosieren. Bevorzugt solche, die langsame Blutzuckerwirkung haben wie Vollkornprodukte, Gemüse und auch Hülsenfrüchte. Eine Ernährungsmedizin, die sich nach dem neusten Stand individuell auf den Menschen ausrichtet, ist keine plumpe Ernährungsberatung nach beliebigen Foodtrends. Sie sollte passend zum Menschen, nach dessen Vorlieben und Verträglichkeiten arbeiten. Man sollte darauf achten, dass moderne Ansätze einfließen. Beratungen nach diesem neuesten wissenschaftlichen Standard werden leider nicht überall angeboten.
Beim Thema Ernährungsumstellung haben viele Menschen direkt ein Bild von strikten Diät-Plänen im Kopf und denken „Das macht keinen Spaß“. Kann das auch anders sein?
Die Regel ist, dass sehr viel verboten und meiner Meinung nach zu rigide und dogmatisch gearbeitet wird. Ich versuche, meine Arbeit komplett davon zu befreien. Ich will die Menschen befähigen, sich selbst der beste Arzt zu werden. Meine Patienten bekommen einfache, machbare Regeln, zum Beispiel wie sie klug Lebensmittel auswählen, das moderne Teller-Prinzip anwenden und einfache,
gesunde Rezepte nachkochen. Meine Ernährungsmedizin ist nicht freudlos, sondern setzt auf „Machbarkeit“ im Alltag und entspannten, gesunden Genuss – das ist der Schlüssel zum Erfolg.
Wie sieht der moderne Teller denn aus?
Das moderne Teller-Prinzip gilt für mittags und abends: die Hälfte des Tellers mit Grünzeug füllen. Salat und Rohkost oder Grüne-Smoothies, wenn dann generell nur vormittags und mittags, weil abends zu viel Rohkost für viele Menschen schlechten Schlaf bedeutet. Eine handteller- große Fläche Eiweiß, zum Beispiel durch Eier, Pilze, Fisch und Fleisch. Tofu- und Sojaprodukte sind für Vegetarier eine Alternative. Ich empfehle sie nicht gerne, weil Soja-Eiweiß schwer verdaulich, für Birkenpollenallergiker kritisch und reich an Hormonen ist. Besser verträglich ist fermentiertes Soja wie Miso, Natto und Tempeh. Kohlenhydrate nach Ausmaß der Bewegung, zum Beispiel eine Handvoll passt für Menschen mit Bewegungsmangel. Und eine kleine Fingergröße hochwertiges Fett, zum Beispiel etwas Olivenöl. Der aus ernährungsphysiologischer Sicht optimale Tag sieht so aus: zwei oder drei Mahlzeiten, keine Snacks, eine lange Pause zwischen Abendessen und Frühstück am nächsten Morgen. Der optimale Start in den Tag ist das „Doc Fleck Frühstück“: Es ist antientzündlich und spart Kohlenhydrate bereits zum Frühstück, was nach neuesten Daten sinnvoll ist. Es gilt, nicht nur abends Kohlenhydrate sparen.
Sie sagen immer wieder: neue Daten, moderne Forschung. Wie hat sich die Diskussion um Ernährung aus Ihrer Sicht entwickelt?
Vor über zehn Jahren noch war ich bei einer damaligen Klinikleitung und habe gesagt: „Wir könnten hier innovative Medizin auf den Weg bringen, individuelle Ernährungskonzepte, moderne Vorsorge…“. Damals schaute man mich mit richtig stumpfen, glanzlosen Augen an, nach dem Motto: „Was soll das denn bringen?“. Jetzt freue ich mich, dass ich noch erlebe, woran ich immer geglaubt habe: Dass man durch die Ganzheitlichkeit und moderne Vorsorge- und Ernährungsmedizin, für die ich eintrete, enorm viel bewegen kann. Dass man diese Methoden nicht unterschätzen darf und dass dieses Thema plötzlich sehr präsent geworden ist. Wir stehen am Anfang einer potenziell guten Entwicklung, leider wird aber zum Thema Ernährung auch sehr viel Quatsch erzählt.
Auf den Quatsch wollte ich auch nochmal zurückkommen … Wenn jemand dieses Interview liest und eine bestimmte Krankheit hat, was würden Sie ihm raten? An wen sollen sich Betroffene wenden? Wo finden Sie gute Tipps oder Hilfe?
Ich kann nicht verallgemeinernd sprechen. Ein kranker Mensch braucht Hilfe und muss fachärztlich in Augenschein genommen werden. Ich weiß, dass mein Konzept in der Form einzigartig ist, meine Warteliste ist leider sehr lang. Es gibt viele Ernährungsmediziner/-berater aber man muss hinterfragen, nach welcher Lehre man informiert wird. Außerdem muss man auch Grenzen kennen, nicht alles lässt sich durch Ernährung heilen. Rheumakrankheiten lassen keine langwierigen Experimente mit Ernährung oder Naturheilverfahren zu, ein zu langes Zögern ohne solide Medikamente wäre sogar fatal. Im Moment gibt es in der Ernährungsmedizin einen richtigen Umbruch. Vieles was wir gelernt haben, ist nicht mehr gültig. Mein Ziel ist es, langfristig Menschen zu motivieren, auch auszubilden und mein Wissen zu verbreiten.
Was raten Sie zur Vorbeugung?
Die Pflege der Gedanken. Gesundheit beginnt im Kopf, im Herzen und im Kochtopf. Wenn wir zum Beispiel denken „Oh Gott, ich werde jetzt krank“ oder „Die Mutter oder der Vater hat das“, macht das etwas mit uns. Wir sind unseren Genen nicht hoffnungslos ausgeliefert. Was hilft: positives Denken, etwas Entspannung und Bewegung im Alltag. Dabei sollte man die Latte nicht zu hochlegen. Man muss nicht zehn Stunden die Woche Sport machen, abends 20 Minuten um den Block gehen, eine kleine „Promenade“, das hilft auch schon.
Und an Lebensmitteln: Was gehört zum Beispiel in jeden Kühlschrank?
Die Saarländer wird’s freuen: Löwenzahn als bitterstoffreiches Lebensmittel. Da haben wir Saarländer als sensible Feinschmecker dem Rest der Republik echt etwas voraus. Ein hochwertiges, frisch gepresstes Leinöl sollte in jedem Kühlschrank sein. Außerdem Knoblauch, Zwiebeln, Äpfel, Beeren, Nüsse und der ehrliche Kohl. Ein gutes Olivenöl extra vergine muss nicht im Kühlschrank stehen, gehört aber in jeden Haushalt, geschmacklich wie gesundheitlich.
Doc Flecks Frühstück (Für 1 Portion)
– 3 große EL Magerquark
– 3 EL Biokuhmilch (alternativ Reis-, Hafer- oder Mandeldrink)
– 20 ml Ölmischung aus Omega-geschützt hergestelltem Biolein- und -weizenkeimöl (optional mit DHA und Vitamin-D3-Zusatz)
– 1 TL Honig nach Geschmack
– 1 Spritzer Zitronensaft
Früchte nach Belieben (gewaschen und geputzt, zum Beispiel 1 Banane, Mango, Himbeeren, Erdbeeren, Heidelbeeren, Äpfel, Kiwi, Papaya; gegebenenfalls auch Trockenobst wie Datteln, Feigen, Aprikosen in kleinen Stückchen) bereitstellen. Für die Deko braucht es gehackte Walnusskerne, Mandelsplitter, Cashewkerne oder Omega-Lein-Crunch (Leinsamen nur mit Bioapfelsaft gesüßt). Quark, Milch, Öl, Honig nach Geschmack und Zitronensaft im Mixer oder mit dem Pürierstab mixen. Früchte gegebenenfalls schälen und klein schneiden. Das Müsli mit Früchten servieren und mit Nüssen oder Früchten dekorieren. Beispiele für Obstmischungen: ½ Banane, ½ Apfel und Heidelbeeren als Deko oder ½ Banane, ½ Mango und Himbeeren als Deko. Tipp: Mit einer Messerspitze gesunder Gewürze wie Kardamom, Kurkuma, Koriander, Ceylon-Zimt oder Bourbonvanille verfeinern.
Dr. Anne Fleck ist Expertin für innovative Präventiv- und Ernährungsmedizin. Die Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie mit Expertise in der Naturheilkunde, verfolgt seit Jahren den Ansatz aus effektiver Kombination von moderner Medizin, Zuwendung und Naturheilverfahren. Einem breiten Publikum ist sie unter andrem aus der NDR-Fernsehserie „Die Ernährungs-Docs“ bekannt und als Autorin (u. a. „Die 70 einfachsten Gesund-Rezepte“).