Die aktuellen Trends im Wirtschaftsleben haben massive Auswirkungen auf Führung. Die bisherigen Antworten der Führung reichen nicht aus. Nach einem Rückblick, wie Führung sich bis heute verändert hat, stelle ich vier Thesen für moderne Führung im 21. Jahrhundert auf.
Führungstheorien im Wandel der Zeit
Die ersten Führungstheorien waren geprägt von einem einfachen Ursache-Wirkungsdenken. In den 20er Jahren des vorherigen Jahrhunderts waren die Untersuchungen vor allem darauf ausgerichtet, die Merkmale von Führungspersönlichkeiten herauszufinden. In den 30er Jahren wurde die Diskussion um Führungsstile „autoritär – demokratisch – laissez-faire“ (Kurt Lewin 1938–1940) und um das Verhalten der Führungskraft gegenüber Mitarbeitern geführt. „Kommandieren, Kontrollieren und Korrigieren“ waren zu diesem Zeitpunkt die Aufgaben der Führung.
In den 60er Jahren rückten die Mitarbeiter vermehrt ins Blickfeld der Aufmerksamkeit. Blake und Mouton integrierten in ihrem Managerial Grid die Mitarbeiterorientierung. Hersey und Blanchard erklärten in ihrem Modell des situativen Führens passendes Führungsverhalten abhängig vom Reifegrad des Mitarbeiters. „Fordern, Fördern, Feedback“ wurden zu den Schlagworten der Führung.
Seit den 80er Jahren verbreitet sich mehr und mehr ein systemisches Führungsverständnis. Sichtweise und Denkinstrumente der Systemtheorie decken sich jedoch selten mit dem gewohnten Verständnis kausalen Denkens. Einfache Erklärungen haben größeren Appeal als der Verweis auf komplexe und komplizierte undurchschaubare Zusammenhänge. Ein systemisches Führungsverständnis richtet den Fokus auf „Kräfte, Kultur und Kontext“. Führung betrachtet ganzheitlich alle Interaktionen zwischen Führungskräften, Mitarbeitern, Kollegen, Kunden, Lieferanten, Finanziers, Markt, Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Es geht um eine gezielte Einflussnahme in Kommunikations- und Erwartungsstrukturen der Beteiligten, um dadurch die Selbstorganisation zu fördern.
Die Führungskraft ist nur noch eine der vielen Kontextfaktoren, die auf die Mitarbeiter wirkt. Organisationen werden als Systeme betrachtet, die nie vollständig „von oben“ durchorganisiert sein können. Systemisches Management orientiert sich an autonomen, verstreuten, selbständigen, selbstorganisierten Subsystemen, wie zum Beispiel das Konzept der „Fraktalen Fabrik“. Um die negativen Folgen direktiver übersteuerung und überregulierung zu vermeiden, wird in der Führungsforschung auf beteiligungsorientierte Stile, teilautonome Gruppen und Vernetzung von Einzelnen, Teams, Abteilungen und Unternehmen hingewiesen.
These 1) Führung fokussiert in Zukunft auf Kulturentwicklung und Kontextgestaltung
Unsere gewohnte Arbeitswelt verändert sich dramatisch durch Zunahme von Dynamik und Komplexität im Zuge der Digitalisierung und der steigenden Vernetzung. Damit sinkt die Vorhersagbarkeit von Ereignissen. Unser Glaube an lineare Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge und Steuerungsillusionen von Führung durch Weisungen und Vorgaben stoßen zunehmend an ihre Grenzen. Es braucht einen neuen Fokus für Führung auf Kulturentwicklung und Kontextgestaltung. Es geht immer weniger um einzelne Beziehungen und einzelne Situationen, als viel mehr darum, die Grundkonfiguration für viele Situationen zu gestalten, so dass sich viele Personen immer wieder neu so aufeinander beziehen können, dass Problemlösungen für echte Kundenprobleme schneller erreicht werden.
These 2) Das Verantwortungsnetz in Organisationen wird neu geknüpft, weil sich die Verantwortung von Führung verändert.
Klassische Hierarchien mit Menschen an der Spitze, die von sich immer noch denken, sie seien die besten Fachexperten, sind zu langsam und haben ausgedient. Führungskräfte müssen sich auf die Entwicklung der Organisation konzentrieren. Dazu werden Verantwortlichkeiten neu ausgehandelt, verteilt und sortiert.
Führung muss akzeptieren, dass sich ihre Rolle verändert. Sie wird dadurch nicht weniger wichtig, sondern muss ihren Beitrag dafür leisten, dass in der alltäglichen, operativen Leistungserbringung, Führung nicht gebraucht wird. Hierfür müssen sich Organisationen in der Art und Weise verändern wie Entscheidungen getroffen werden. Zu der Befähigung von Mitarbeitern (Können und Wollen) muss eine Ermächtigung (Dürfen und Müssen) durch die Organisation und die Führung erfolgen. Es muss also das Netz von Verantwortungen und Verantwortlichkeiten innerhalb der Organisationen neu geknüpft und ausgehandelt werden. Das bedeutet auch, dass Macht neu verteilt und verhandelt wird. Gerade das Abgeben von Macht ist aber für viele FK, die sich große „gestalterische Spielräume“ (=Macht) z.T. sehr hart erarbeitet haben, nicht leicht.
These 3) Führungskräfte arbeiten an ihrer Persönlichkeitsentwicklung, um individuell zu wachsen und nicht die Organisation in ihrer Entwicklung zu behindern.
Die Entwicklung einer Organisation ist nur durch die Reife der Persönlichkeitsentwicklung der obersten Führungskraft und des/der Eigner beschränkt. Eine Organisation wird also nie weiter oder reifer sein oder werden, als ihre oberste Führungskraft (meist Geschäftsführer oder Vorstand). Am stärksten kulturprägend sind nun mal die Handlungen (und Unterlassungen) der einflussreichsten Personen in einem Unternehmen.
Eine neue Kultur braucht eine ausreichende Anzahl an belastbaren, glaubwürdigen Beispielen aus dem Alltag der Leistungserbringung. Wirklich auf die Probe wird eine neue Kultur in kritischen Situationen gestellt. Um tragfähig und wirksam zu werden, benötigt sie also prägende Verhaltensbeispiele im Alltag und in kritischen Situationen. Hierfür sollten die Führungskräfte Vorbild und sich dessen auch bewusst sein.
These 4) Führung fördert Eigenverantwortung
Ein notwendiger Hebel für Produktivitätssteigerungen sind kontinuierliche Verbesserungsvorhaben. Die Erfahrung zeigt, dass Initiativen zur Einführung von kontinuierlichen Verbesserungsprozessen, in denen Eigenverantwortung der Mitarbeiter nicht gefördert wird, im Sande verlaufen. Methoden werden trainiert aber nicht gelebt. Initiativen werden gestartet, erzielen auch erste Erfolge, doch spätestens wenn die Verantwortung an die Linie übergeht, stellt sich wie von einem unsichtbaren Gummiband gezogen der alte Ausgangszustand wieder her. Nur wenn sich Führung ändert, so dass Eigenverantwortung gefördert wird, können die gewünschten Früchte geerntet werden. Damit hat Führung die Aufgabe, Mitarbeiter zu befähigen, eigenverantwortlich zu handeln, sich selbst zu organisieren und Verbesserungen kontinuierlich selbständig umzusetzen.
Welche Voraussetzungen haben Sie? Um Ihren eigenen Selbstorganisations-Readiness-Check zu machen, finden Sie hier einen frei verfügbaren Fragebogen zur Selbst-Einschätzung.
Jaakko Johannsen