„Sei kein Frosch!“ So heißt es in einer bekannten Redensart. Übersetzt bedeutet dies, dass man kein Spielverderber sein soll. Im Hinblick auf die Digitalisierung und die zugehörige Plattform-Ökonomie muss man aber sagen: „Sei ein digitaler Frosch!“ Und das insbesondere im Kontext von digitalen Startups mit ihren zugehörigen elektronischen Geschäftsmodellen. Der Grund liegt auf der Hand, denn wir werden Amazon, Google & Co. nicht einholen können. Wir werden sie nur mit Hilfe eines Digital Leapfrogging überspringen können bzw. müssen.
Analogien sind mitunter zweischneidig und Startups mit Fröschen zu vergleichen, mag vielleicht zunächst weit hergeholt sein. Und trotzdem kann man diesen Vergleich heranziehen. Und das gleich im doppelten Sinne, denn zum einen muss ein Gründer im Rahmen des E-Entrepreneurship mit seiner Idee hoch, weit und hoffentlich auch nachhaltig springen. Zum anderen muss er mit einem hoffentlich disruptiven Geschäftsmodell entgegen dem angeführten Sprichwort bewusst zum Spielverderber werden und gegenüber den angestammten Branchen-Playern versuchen, ihnen den Markt im Sinne von Schumpeter „zerstörerisch“ wegzunehmen. Dass dies kein einfaches Unterfangen ist und man als Gründer schon enorm springen muss, um sich dem Risiko einer Unternehmensgründung auszusetzen, liegt dabei auf der Hand. Deswegen gilt: Jeder Gründer, der das Risiko auf sich nimmt und versucht ein Unternehmen aufzubauen, verdient unseren Respekt! Das gilt im Übrigen nicht nur für E-Entrepreneure, sondern auch für E-Intrapreneure, die neue digitale Innovationen über eine Ausgründung aus bestehenden Unternehmen in Angriff nehmen.
Wer als Gründer-Frosch nicht aufgibt, wird belohnt
Dass es aber auch bei Gründer-Fröschen durchaus unterschiedliche Charaktere und Einstellungen gibt, führt uns in diesem Zusammenhang zu einer bekannten Fabel von Äsop. In dieser Geschichte sprangen zwei (je nach Überlieferung auch drei) Frösche in einen Eimer mit Milch. Es stellte sich aber heraus, dass das keine so gute Idee gewesen war, denn sie konnten nun nicht mehr hinausspringen, weil die Wände zu hoch und zu glatt waren. Dies entspricht in etwa der unbekannten Gründungssituation in die man sich mit seinem Startup begibt. Nun sind die Reaktionen der Frösche auf diese risikoreiche Situation interessant. Der erste war sich sicher, dass man dieser Gefahr nicht mehr entrinnen kann, hörte auf zu schwimmen und ertrank. Der zweite Frosch (in der Variante mit drei Fröschen) wollte von Anderen gerettet werden, schlief beim diesbezüglichen Warten ein und ertrank ebenfalls. Der dritte Frosch wollte sich seinem Schicksal nicht ergeben und schwamm und strampelte die ganze Nacht, bis er die Milch zu Butter geschlagen hatte und auf dieser festen Basis wieder aus dem Eimer springen konnte. Fazit: Wer nicht aufgibt, auch wenn alles hoffnungslos zu sein scheint, der wird dafür belohnt. Entsprechend kann man den Gründern mit ihren Startups nur wünschen, dass sie ein digitaler Frosch der 3. Kategorie sind.
Die Analogie zu den Fröschen kann auch auf einer weiteren individuellen und damit geschäftsorientierten Ebene fortgeführt werden. Verbunden ist das mit der Frage, wie hoch, wie weit oder allgemein wohin ein Startup mit seiner Idee eigentlich springen muss? Wer nur anderen hinterherspringt, kann diese entsprechend nicht überholen. Dabei ist es aber doch gerade das Ziel, mit seiner Idee und der zugehörigen Umsetzung die Pole-Position im Markt zu erreichen und Marktführer zu werden. Das gilt insbesondere in einem digitalen Wettbewerb, wo aufgrund von Skalierungs- und Kritische-Masse-Effekten nur einer, bestenfalls wenige Kontrahenten am Ende als Plattform überleben. Und Amazon, Google, Facebook & Co. zeigen ja gerade, wie schwer es ist, noch an ihnen vorbeizukommen. Und hier kommt das sog. Leapfrogging-Konzept aus der klassischen BWL als wirtschaftliches Froschhüpfen ins Spiel.
Dieses Konzept beschreibt im Allgemeinen das (freiwillige) Auslassen einzelner Stufen im Laufe eines Entwicklungsprozesses oder das bewusste Überspringen einer (digitalen) Technologie, um auf die danach folgende Stufe zu setzen. In Bezug auf eine Startup-Idee kann man sich auf die nächsten Themenfelder im Zuge eines Web 4.0 (Industrial Content) stürzen oder aber schon ins Web 5.0 (Artificial Content) springen bzw. sich Gedanken über das Web 6.0 machen. Und damit wechselt die Perspektive zu einer aggregierten und gesamtwirtschaftlichen Ebene. Da wir in Deutschland keine digitalen Weltmarktführer haben, ist es umso notwendiger, dass wir mehr Startups mit dem Mut zum Digital Leapfrogging haben, um im Erfolgsfall in Zukunft vielleicht für die übernächste digitale Entwicklungsstufe einen Schritt schneller zu sein und die dann führenden Plattformen im Netz zu gestalten.
Der Mittelstand muss aus seiner Komfortzone springen
Das gilt in diesem Zusammenhang nicht nur für Startups, sondern eben auch für unsere klassische Industrie und unseren Mittelstand. Diese müssen auch aus ihrer Komfortzone springen und die erreichte Routine ablegen, um aus der Erfahrungsfalle des klassischen Kerngeschäftes herauszukommen und neue digitale Wege zu gehen. Deswegen gilt für E-Entrepreneure und E-Intrapreneure gleichermaßen: Vergesst die klassischen E-Shops, den x-ten Online-Lieferdienst oder digitale Automatisierungsprozesse – springt lieber gleich zu Blockchain-Plattformen, 3D-Druck, KI-Technologien, Prescriptive-Analysis, Open-Banking und meinetwegen auch Flugtaxis. In der digitalen Welt kann man nicht hinterherlaufen, man kann nur vorweggehen bzw. vorweghüpfen! Von daher wünsche ich mir mehr digitale Frösche der 3. Kategorie mit dem Ehrgeiz zum digitalen Froschhüpfen in die nächste digitale Technologiewelt (wie immer die auch aussehen mag).
Prof. Dr. Tobias Kollmann ist Inhaber des Lehrstuhls für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen. Seit 1996 befasst er sich mit wissenschaftlichen Fragestellungen rund um die Themen Internet, E-Business und E-Commerce. Als Mitgründer von AutoScout24 gehörte er mit zu den Pionieren der deutschen Internet-Gründerszene und der elektronischen Marktplätze. 2004 hat er zusammen mit Motorola und der Telekom die erste mobile UMTS-App in Deutschland konzipiert und in einem Feldversuch getestet. Seit 2013 ist er der Vorsitzende des Beirats „Junge Digitale Wirtschaft“ im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Von 2014 bis 2017 war er zudem der „Landesbeauftragte für die Digitale Wirtschaft“ in Nordrhein-Westfalen. 2012 wurde er zum „Business Angel des Jahres“ gewählt Seit 2015 ist er Mitglied im Aufsichtsrat des börsennotierten Stahl- und Digitalkonzerns Klöckner & Co SE. 2019 wurde er als stellvertretender Vorsitzender zudem in den Aufsichtsrat der COMECO GmbH & Co. KG, einem FinTech-Spin-off der Sparda Banken, berufen.