Interview mit dem Zukunftswissenschaftler Professor Dr. Ulrich Reinhardt „Die Welt im Wandel – der Mensch im Mittelpunkt“

5 / Dez / 2018

Professor Reinhardt, warum und wie erforscht man die Zukunft?

Seit jeher wollen die Menschen wissen, was künftig auf sie zukommt. Dafür wurden viele Methoden erfunden, erprobt und im Laufe der Geschichte wieder verworfen. Man denke nur an das Kaffeesatzlesen, den Blick in die Glaskugel oder das Orakel von Delphi. Ich gehe diesem Wunsch auf wissenschaftlicher Basis nach, recherchiere, lese und führe dann neben Leitfrageninterviews sowie Kleingruppendiskussionen regelmäßig Repräsentativbefragungen der deutschen Bevölkerung durch. So kann ich vieles einordnen und entsprechende gesellschaftliche Entwicklungen darlegen. Hierauf aufbauend lassen sich relativ verlässliche Prognosen für die Zukunft formulieren.

Lässt sich von der Vergangenheit auf die Zukunft schließen?

‚Zukunft ist Herkunft.’ Gerade wir Deutschen ändern unsere Verhaltensweisen nur sehr langsam und reagieren daher auf neue Herausforderungen oder Veränderungen meistens sehr vorhersehbar – häufig leider auch skeptisch.

Woran liegt es, dass die Deutschen anscheinend zunehmend die Vergangenheit verklären und Neuem skeptisch gegenüberstehen?

Die Vergangenheit ist bekannt, symbolisiert Sicherheit und Einfachheit. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass viele Bürger dem alten Sprichwort „Früher war alles besser“ glauben schenken. Dabei war früher kaum etwas besser. Zu keiner Zeit war die Lebenserwartung höher und die Kindersterblichkeit geringer. Die medizinische Versorgung war niemals besser, die Bildung nie umfassender und die Kommunikation nie unmittelbarer oder einfacher. Auch die Emanzipation der Frau ist heute weiter denn je, ebenso wie die Akzeptanz anderer Lebenskonzepte. Meinungsfreiheit ist zum allgemeinen Standard geworden und unser Lebensstandard sowie das frei verfügbare Einkommen haben sich deutlich erhöht. Nicht zu vergessen, dass jeder unter 60-Jährige Frieden, Freiheit und Wohlstand als Dauerzustand kennengelernt hat.

Was wird sich zukünftig in unserem Leben ändern?

Flexibilisierung, Globalisierung, Digitalisierung, Mobilisierung, Ausdifferenzierung, Individualisierung, Mediatisierung, Urbanisierung, Feminisierung, Demokratisierung: alles Schlagwörter, die verdeutlichen, mit welcher Dynamik sich unsere Welt derzeit verändert. Zweifellos haben all diese Entwicklungen einen großen Einfluss auf unser Leben und prägen entsprechend unsere Zukunft. Aber eines ist sicher, das Leben wird insgesamt besser werden.

Sprechen wir über Werte. Welche Werte werden wichtiger?

Im Zentrum stehen zunehmend prosoziale Werte, die auf die Gemeinschaft ausgerichtet sind. Die Individualisierungszeit um die Jahrtausendwende ist vorbei und an die Stelle von Beliebigkeit tritt wieder Beständigkeit. Hierzu gehört für mich der Dreiklang aus Verlässlichkeit, Vertrauen und Verantwortung. Dieser gilt übrigens für Politiker und Unternehmer, ebenso wie für jeden einzelnen Bürger.

Und wie sieht es mit der Freizeit aus, die meisten beklagen heute, dass sie zu wenig freie Zeit haben. Werden wir zukünftig mehr haben?

Objektiv betrachtet hat sich die Arbeitszeit stetig verkürzt und das Freizeitbudget erhöht. Aber dennoch haben viele das Gefühl nicht genügend Freizeit zu haben. Dies liegt vor allem daran, dass die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung enorm gewachsen sind und parallel die Ansprüche an die Freizeit gestiegen sind. Einfach mal Nichtstun und die Seele baumeln lassen erlauben sich leider die wenigsten – aus lauter Angst etwas zu verpassen. Mein Rat lautet daher: Entdeckt die Hängematte wieder und macht nur das was ihr wirklich wollt.

Wie sehen Sie die Zukunft der Arbeitswelt?  Werden die jungen Generationen diese verändern?

Zunächst einmal bleibt auch zukünftig eine umfassende Bildung die Kernvoraussetzung um einen guten Job zu finden. Ganz sicher ändern wird sich, dass die Generationen Y und Z die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einfordern werden und nicht bereit sind den einen Bereich für den anderen zu opfern. Arbeitgeber, die dies nicht ermöglichen, werden es schwer haben qualifizierte junge Arbeitnehmer zu binden. Zudem wollen die jungen Generationen Sinn und Spaß bei der Arbeit. Sie sind durchaus bereit sich voll und ganz einzubringen, möchten aber gleichzeitig nicht auf private Interessen verzichten. Parallel hierzu suchen sie Sicherheit – statt heute hier und morgen dort, will sie lieber Beständigkeit.

Welche Kompetenzen sind Ihrer Meinung nach in der Zukunft von großer Wichtigkeit?

Eine gute Ausbildung und umfangreiche Fachkenntnisse werden auch in Zukunft noch wichtig sein, selbst wenn leistungsfähige Roboter dann mehr als nur einfache Arbeitsprozesse durchführen können. Zukünftig sollte aber die Persönlichkeitsbildung deutlich gestärkt werden. Eine Förderung von emotionaler Intelligenz, Sozialkompetenz, Individualität, Kreativität und auch Gesundheitsbewusstsein sind dabei sowohl im Interesse der Arbeitnehmer als auch der Abreitgeber. Die Stärkung dieser Fähigkeiten hat nachweislich Auswirkungen auf Betriebstreue, Motivation, Zufriedenheit und die Reduktion des Krankenstandes der Beschäftigten.

Die Geburtenrate steigt zwar leicht, ist aber immer noch zu niedrig. Wie müssen sich die Rahmenbedingungen ändern, damit Familien mehr Nachwuchs bekommen?

Die Politik ist aufgefordert die finanziellen Rahmenbedingungen zu stellen und die Wirtschaft muss sich den Chancen, die ein familienfreundliches Unternehmen bietet, bewusst werden. Kinder sollten wieder mehr in den Mittelpunkt unseres Alltags gestellt werden, und dabei kann jeder helfen – Proteste gegen einen Kindergarten in der Nachbarschaft oder Augenrollen über Kinder im Flieger helfen wenig. Vergessen wir nicht: Kinderlärm ist Zukunftsmusik.

Zum Schluss noch eine Frage zu Ihnen persönlich: Was ist Ihnen beruflich am wichtigsten?

Bei all meiner Arbeit ist für mich Optimismus Pflicht. Dieses versuche ich sowohl meinen Studierenden, als auch in meiner Forschung immer deutlich zu machen.

Prof. Dr. Ulrich Reinhard ist wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen und ordentlicher Professur am Fachbereich Wirtschaft der FH Westküste in Heide. Als Initiator und Ideengeber einer Vielzahl von Forschungsprojekten wie „Deutschlands nächste Jahre“ in Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzleramt, dem „Bayreuther Zukunftssymposium“ oder paneuropäischen Projekten wie „Die Zukunftshoffnungen der Europäer“ versucht er Mut zur Zukunft zu machen und dabei stets dem Grundsatz treu zu bleiben: Die Welt im Wandel – der Mensch im Mittelpunkt.